Deutsches Auswandererhaus erhält Neubau
Die Intensität von Einwanderungsdebatten ist in den letzten beiden Jahrzehnten in Deutschland wieder gestiegen. Dabei steht im Mittelpunkt die Frage: Wie wollen wir unser Zusammenleben im Einwanderungsland Deutschland gestalten? Spät stellt sich dieses Land, das seit Jahrhunderten Einwanderer aufgenommen hat, diese Frage. Um so heftiger und oft unsachlicher wird sie nun gerade diskutiert. Rassismus und Gewalt haben zugenommen.
Was kann ein Migrationsmuseum wie das Deutsche Auswandererhaus zu dieser gesellschaftlichen Situation nachhaltig beitragen? Bisher zeigt das Haus 300 Jahre Aus- und Einwanderungsgeschichte. Mit dem neuen Dauerausstellungsteil verfolgt das Museum das Ziel, zu zeigen, dass Konflikte in Einwanderungsgesellschaften zum Alltag gehören. Die Frage ist nur: Wie können Konflikte so ausgehandelt werden, dass die Rechte aller bewahrt werden? Dafür konzipiert das Museum unter anderem einen neuen Ausstellungsraum: Es werden unterschiedliche Migrationskonflikte in Geschichte und Gegenwart vorgestellt, die sich an Themen wie Wohnraum, Lohngleichheit sowie sozialer und kultureller Gleichberechtigung entzündet haben. Dargestellt werden diese Konflikte emotional, rational und multiperspektivisch: Alle, die daran beteiligt sind, kommen zu Wort. Ebenso werden verschiedene Expert*innen rückblickend Konflikte analysieren, aber auch in die Zukunft schauend neue Ideen zum Zusammenleben vorstellen. Museumsbesucher*innen können sich ein ausgewähltes Konfliktthema entlang einer Zeitachse anschauen: Wie wurde vor 70, wie vor 50, wie vor fünf Jahren mit ähnlichen Konflikten umgegangen? Was waren „gute“, was waren „schlechte“, was waren überhaupt keine Lösungen?
Komplexität und Fragilität von Einwanderungsgesellschaften spiegeln sich in der Fassade des Neubaus wider: Sie zeigt neben einer Vielzahl geschichteter Ebenen Porträts von Einwander*innen oder deren Nachfahr*innen. Sie sind reliefartig aus der Materialschicht geschnitten und je nach Lichteinfall mal mehr, mal weniger zu sehen. Die bauliche Erweiterung umschließt gleichsam wie ein Mosaik der Einwanderungs-gesellschaft Deutschland den bestehenden Annex des Museums und präsentiert sich als selbstbewusst eigenständiger Gebäudeteil des Deutschen Auswandererhauses. Entworfen werden das Gebäude und die Ausstellung von Andreas Heller Architects & Designers, Hamburg.
Ein weiterer neuer Ausstellungsraum widmet sich der Geschichte von Einwandererfamilien und ihrem Leben in Deutschland. Ihre Erinnerungsstücke aus alten und neuen Heimaten stehen für die generationsübergreifende Intensität von Migrationserfahrungen. Familiäre Erzählungen geben Antworten auf die Frage: Wie gestalte(te)n sie ihren Alltag in der Schule, am Arbeitsplatz und in der Nachbarschaft? Wie gehen sie mit der Erfahrung von Diskriminierung und Gewalt um und wie setzen sie sich dagegen zur Wehr? Die Erzählungen reichen von Hugenotten über „Ruhrpolen” bis zu jüdischen Kontingentflüchtlingen und somalischen Geflüchteten.
„Wir sind in einer Situation, in der Viele eine Krise der Demokratie bei der Bewältigung gesellschaftlicher Fragen wie der Migration sehen“, erklärte die Direktorin des Deutschen Auswandererhauses Dr. Simone Eick bei der Präsentation des Konzeptes. „Wir möchten unsere Besucher*innen darin bestärken, sich eine Meinung zu bilden: und zwar durch sachliche Diskussion und faire Behandlung kontroverser Positionen.“ Zu diesem Zweck entwickelt das Museum neue Kommunikationstechniken, die interaktiv und reflexiv sein werden. Den Museumsbesucher*innen werden künftig Vergleichsmöglichkeiten angeboten: Wie führten und führen andere Einwanderungsgesellschaften ihre Debatten, wie lösten und lösen sie ihre Konflikte? Dafür ergänzt das Museum seinen Ausstellungsteil zur europäischen Einwanderungs-geschichte der USA, Kanadas und Australiens. Ein neuer Themenschwerpunkt hierbei wird auch die Auswanderungsgeschichte osteuropäischer Jüdinnen und Juden sein, von denen Hunderttausende über Bremerhaven nach Ãœbersee gingen.
„Wir danken dem Bund, dem Land Bremen und der Stadt Bremerhaven für die großzügige finanzielle Förderung und Unterstützung, die es dem Deutschen Auswandererhaus ermöglicht, den gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen und das Museum für gegenwärtige und zukünftige Themen weiter zu entwickeln“, sagte Simone Eick. Die Neuausrichtung des Museums beinhaltet auch die Gründung der „Academy of Comparative Migration Studies“ (ACOMIS), die baulicher Bestandteil der Erweiterung sein wird. In der Akademie wird ein Bildungsinstitut zur Museumspädagogik für Kinder-, Jugend- und Erwachsenenbildung sowie ein Institut für Migrationsforschung etabliert. Unterstützt durch die Stiftung Deutsches Auswandererhaus werden die Wissenschaftler*innen des Deutschen Auswandererhauses künftig gemeinsam mit Universitäten zu historischen und vergleichenden Migrationsfragen forschen.
Die allgemeine Öffentlichkeit wird in dem „Pop Up-Museum“ angesprochen. Mit dieser außergewöhnlichen Präsentationsform öffnet sich das Deutsche Auswandererhaus in die Stadt: Die einer Garage ähnelnde Ausstellungsfläche wird in die Fassade zum Straßenraum hin integriert und erlaubt einen begehbaren Einblick in das Migrationsmuseum. Hier werden künftig Wechselausstellungen zu aktuellen Migrationsthemen präsentiert – kostenfrei und für alle.
Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien fördert den Umbau und die Erweiterung des Deutschen Auswandererhauses mit 6.175.000 Euro. Kulturstaatsministerin Prof. Monika Grütters erklärte: „Die Geschichte der Aus- und Einwanderung war und ist Teil unserer deutschen Geschichte. Es ist wichtig, dass Museen dies abbilden. Sie leisten damit einen Beitrag zum Zusammenwachsen unserer Gesellschaft und machen Vielfalt erlebbar. Das Deutsche Auswandererhaus hilft dabei, Ursachen und Verläufe auch aktueller Migrations- und Integrationsprozesse nachzuvollziehen. Künftig zeigt es beide Perspektiven: die Geschichte deutscher Auswanderer und die Geschichte jener, die nach Deutschland zuwandern. 7,2 Millionen deutsche und osteuropäische Familien zogen seit Eröffnung des ersten Hafens von Bremerhaven im Jahr 1830 aus in die Neue Welt. In den 1930er Jahren waren es vor allem Juden, Intellektuelle und Künstler aus Deutschland, die vor den Nazis flohen und als Emigranten überleben mussten. Dies gilt es, in Erinnerung zu rufen, wenn wir heute über Migration sprechen. Denn ein Blick in die Geschichte lehrt uns, die Gegenwart besser zu verstehen.“
Dr. Claudia Schilling, Senatorin für Wissenschaft und Häfen der Freien Hansestadt Bremen, zeigt sich sehr erfreut: „Das Deutsche Auswandererhaus wächst mit seiner Erweiterung einmal mehr über seine Rolle als Museum hinaus. Es entwickelt sich immer mehr zu einem Ort der aktiven Forschung und des wissenschaftlichen Diskurses, an dem Fragen nach gesellschaftlichem Zusammenhalt oder Integration gestellt werden. Ich freue mich daher, dass wir die Erweiterung des Deutschen Auswandererhauses durch eine Kofinanzierung von über 6.175.000 Euro unterstützen und so die Bremer Wissenschaftslandschaft bereichern können.“
Melf Grantz, Oberbürgermeister der Stadt Bremerhaven, die dem Museum das Grundstück für die Erweiterung zur Verfügung stellt, ergänzte: „Das Deutsche Auswandererhaus ist ein kulturtouristischer Leuchtturm in Bremerhaven mit nationaler Strahlkraft und eines der bestbesuchten Museen in der Bundesrepublik. Die Stadt setzt mit der Unterstützung des Deutschen Auswandererhauses ein Zeichen und bietet ein hoch aktuelles Thema einem breiten Publikum an.“
Die Erweiterung und die Aktualisierung des Deutschen Auswandererhauses wird während des laufenden Museumsbetriebes durchgeführt – das Haus bleibt durchgängig geöffnet, wie die Museumsmacher betonen. Die Rohbauarbeiten beginnen im November 2019. Ab Herbst 2020 startet die Produktion der Ausstellung. Der Auswandererteil des Museums ist durchgängig geöffnet. Die Einweihung des neuen Deutschen Auswandererhauses ist für Frühjahr 2021 vorgesehen.
www.dah-bremerhaven.de