Am Freitag, 9. November, werden zum sechsten Mal in Bremerhaven "Stolpersteine" verlegt. Die Verlegung wird von Stadtrat Michael Frost um 10 Uhr in der Elsässer Straße 2 eröffnet. Bis etwa 11.15 Uhr werden in der Fährstraße 16 insgesamt sieben Gedenksteine für die während der NS-Zeit verfolgten und ermordeten Bremerhavenerinnen und Bremerhavener verlegt. Im Laufe des Tages finden weitere Veranstaltungen statt.
Seit 1992 erinnert der Kölner Künstler Gunter Demnig mit seinem Projekt „Stolpersteine“ in über 300 deutschen Städten an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Demnig verfolgt mit diesen dezentralen Denkmälern das Ziel, die Opfer des Nationalsozialismus aus der Anonymität herauszuholen und ihnen durch diese Steine ihren Namen zurückzugeben.
Inzwischen wurde das Projekt „Stolpersteine“ auch in Österreich, Ungarn, Italien und den Niederlanden durchgeführt, um die Erinnerung an die Vertreibung und Vernichtung der Juden, der Zigeuner, der politisch Verfolgten, der Homosexuellen, der Zeugen Jehovas und der Euthanasieopfer im Nationalsozialismus lebendig zu halten. Mittlerweile hat Gunter Demnig weit über 20.000 dieser Gedenksteine in Deutschland verlegt.
Die schlichten, 10 x 10 Zentimeter großen Betonquader mit Messingtafeln, in
die mit Hammer und Schlagbuchstaben Name, Geburtsjahr, Todesjahr und Ort der Ermordung eingestanzt sind, werden in Bürgersteigen vor den Häusern verlegt, in denen die Opfer des NS-Regimes einst wohnten. Der Betonstein wird versenkt, nur die Tafel bleibt sichtbar. Stolpern kann man nur im übertragenen Sinn.
In diesem Jahr werden an zwei Orten „Stolpersteine“ verlegt und zwar nicht vom Künstler selbst, sondern von Schülerinnen und Schülern der Johann-Gutenberg-Schule unter der Leitung von Lehrer Henning Peckmann. Für jeden Stein gibt es einen Paten, der die Kosten trägt.
Folgende „Stolpersteine“ werden verlegt:
10.00 Uhr, Elsässer Straße 2 für
Esther Feldbrand, Pate: Uwe Traue
Frieda Feldbrand, Patin: Stefanie Hallegger-Mahn
Konrad Feldbrand, Patin: Petra Kollakowsky
Adele Feldbrand, Pate: Sönke Allers
Ca. 10.45 Uhr, Fährstraße 16 für
Hedwig Bruch, Patin: Kathrin Richter
Max Bruch, Pate: Wolfgang Richter
Grete Bruch, Pate: Dr. Peter Wöllgens
Die Schülerinnen und Schüler der Gutenberg-Schule gestalten die Verlegung mit ihren Redebeiträgen.
Das Projekt „Stolpersteine in Bremerhaven“ wird vom Kulturamt organisiert.
Kooperationspartner und Unterstützer sind der Kunstverein, der Synagogenförderverein, die Landeszentrale für politische Bildung, die Jüdische Gemeinde Bremerhaven sowie der Lehrer Manfred Kandsorra.
Der „Stolpersteinverlegung“ folgt am Nachmittag um 15 Uhr die Gedenkfeier am Synagogengedenkstein in der Ludwigstraße. Es sprechen Stadtrat Michael Frost und Leonid Merkine von der der Jüdischen Gemeinde Bremerhaven.
Die Ereignisse am und um den 9. November 1938 markierten in mehrfacher Sicht einen Wendepunkt – nicht nur in der Geschichte des nationalsozialistischen Deutschland. Der Novemberpogrom, auch als Reichskristallnacht bekannt, bedeutete den Rückfall in die Barbarei. In einer Nacht wurden die Errungenschaften der Aufklärung, der Emanzipation, der Gedanke des Rechtsstaats und die Idee von der Freiheit des Individuums zerstört.
Mit dem Niederbrennen der Synagogen hatte das NS-Regime eindeutig demonstriert, dass es auch auf den Schein rechtsstaatlicher Tradition keinen Wert mehr legte. In der Nacht vom 9. auf den 10. November wurden 91 Juden ermordet und etwa 30.000 verhaftet. 280 Synagogen wurden in Deutschland niedergebrannt. Der 9. November 1938 war der Auftakt für die systematische Vernichtung der jüdischen Bevölkerung.
20.00 Uhr, Historisches Museum Bremerhaven, An der Geeste
„Mir lebn ejbig – Wir leben ewig“
Konzert-Hommage an jene Künstler,
die in Konzentrationslagern um das Überleben kämpften
mit Werken jüdischer, fast vergessener Komponisten und Poeten wie Ilse Weber, Erich Mühsam, Leo Strauss, Hans Werner Kolben,
Gideon Klein
und mit einer Uraufführung der Fantasie für Streichquintett „Schpil-she mir a Lidele in Jiddisch“ von Roger Matscheizik
Theresienstadt, Birkenau, Auschwitz – Orte des Grauens.
Was die wenigsten Nachgeborenen wissen: Unter den Millionen Menschen jüdischen Glaubens, die eingepfercht, ihres Lebens und ihrer Identität beraubt waren, bestand ein verzweifelter Hunger nach Kultur. Tausende versuchten, ihrem Leiden und ihrer Sehnsucht eine künstlerische Stimme zu geben. Dirigenten, Sänger, Musiker, Schauspieler, Dichter, Akademiker – eine geistige und künstlerische Elite rang mit eigenen Mitteln um den Erhalt von Menschlichkeit und Würde unter menschenunwürdigsten Bedingungen.
Texte, Zeichnungen, Kompositionen – manche künstlerischen Dokumentationen wurden nach und nach aus ihren Verstecken in den Konzentrationslagern in unsere Zeit hinüber gerettet.
In Theresienstadt inszenierten die Nazis ein perfektes Propagandamanöver zur Täuschung. Als „Freizeitgestaltung“ hatten die Künstler das „Privileg“, bis zu ihrer Vernichtung zur Unterhaltung ihrer Leidensgenossen und auswärtiger Besucher beizutragen: mit Kabarett, Operette, Theater, Konzert. Die Welt glaubte die Lüge.
Das Programm im Historischen Museum holt lange Verschollenes – vom bitter-zynischen Kabarett bis zum zärtlichen Kinderlied - wieder ins Bewusstsein.
Unter anderem Werke von
Roger Matscheizik: Er lebt in Bremerhaven und beschäftigt sich auch mit der jiddischen Kultur. Für dieses Konzert sind seine neu komponierten Versionen alter jiddischer Lieder zu hören. Seine Ausdruckspalette reicht von der beinah klassischen Musik, bis zum überschwänglichen Volkstanz.
Ilse Weber: Die Prager Kinderbuch- und Hörspielautorin wurde 1942 mit ihrem kleinen Sohn nach „Terezin“, Theresienstadt, deportiert, betreute dort die kranken Kinder, begleitete sie 1944 nach Auschwitz und kam dort um. Hans Werner Kolben, Industriellensohn und hochbegabter Lyriker aus Böhmen, wurde 1942 nach Theresienstadt abtransportiert, arbeitete in der Altenfürsorge, kam 1944 ins KZ Kaufering und dort ums Leben – 22 Jahre jung.
Erich Mühsam: einer der facettenreichsten deutschen Dichter mit ebenso lyrischer wie gnadenlos zugespitzter Feder, kämpfte kompromisslos gegen das Unrecht und wurde 1934 als politischer Agitator im KZ Oranienburg ermordet. Der Wiener Kabarettist Leo Strauss kam 1942 nach Theresienstadt und starb dort drei Jahre später.
Die Musik des tschechischen Komponisten und Pianisten Gideon Klein hat längst Zugang zu den renommierten Konzertpodien der Welt erhalten. 1941 wurde er nach Theresienstadt deportiert, baute dort das zu Propagandazwecken missbrauchte Kulturleben mit auf und starb 1944 im KZ Fürstengrube.
Das Programm wird gestaltet vom Visurgis-Quartett (mit Peter Vardanian, Alexander Egon, Janusz Kurianowicz und Mircea Ionescu).
Die Texte spricht Susanne Schwan.
Am Klavier: Roger Matscheizik.
Eintritt: 10,- €/5,- €, Karten gibt es an der Abendkasse des Historischen Museums.
Veranstalter: Kulturamt
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